Verbandsliga, 2. Runde: Weiße Dame Ulm – SG KK Hohentübingen 5.5:2.5

Hingegangen, hingesetzt, schlecht gespielt

Hingehen, hinsetzen, gut spielen“ - mit diesem Zitat überschrieb die „Zeit“ kürzlich ein Interview mit Vishwanathan Anand im Vorfeld des WM-Kampfes. Auf der Fahrt nach Ulm wurde angeregt, dieses raffinierte weltmeisterliche Konzept auch einmal in der Verbandsliga anzuwenden. Zu zwei Dritteln gelang dies auch schon ganz gut, nur am letzten Teil muss noch gearbeitet werden. Dies allerdings verschärft, denn die Durchsicht der Partien ergab ein doch sehr überschaubares Spielniveau, deutlich niedriger als zuletzt in Biberach. Da die Königskinder als Außenseiter antraten, ist die Niederlage an sich zwar kein Beinbruch, aber doch ein klarer Warnschuss. In zwei Wochen gegen Markdorf muss wieder eine bessere Leistung her, wenn man wichtige Punkte für den Klassenerhalt sammeln will.

Der Start war noch gelungen, da Martin Schmidt (2) schnell gewann, wenn auch in einer sehr merkwürdigen Partie. In der Eröffnung brachte Martin alles durcheinander und stand nach 10 Zügen im Prinzip glatt auf Verlust (Bauer weniger, schlechte Stellung). Unerklärlicherweise verlor Johannes Bathray dann aber vollkommen den Überblick, machte einen schwachen Zug nach dem anderen und stand nach weiteren 10 Zügen seinerseits schon auf Verlust. Kurz danach war das seltsame Treiben zu Ende. Leider hatte die Führung nicht lange Bestand: Michael Schwerteck (4), sonst ja eher Spezialist für das Vergeigen von Gewinnstellungen, wurde diesmal aus der Eröffnung heraus eingemostet wie ein Fass runzliger Äpfel. Sein Gegner Heiko Unrath spielte unverschämterweise anders als in der Datenbank und hatte auch noch etwas Giftiges vorbereitet. Die von Michael darauf gewählte Aufstellung ist ziemlich genau so im Eröffnungsbuch verzeichnet – allerdings im Kapitel „Was auf keinen Fall passieren darf“. Der Grund war bald zu erkennen: kein Zentrum, kein Spiel am Damenflügel und am Königsflügel brach alles zusammen. Letztlich eine üble Klatsche, aber wenigstens verdient und lehrreich. Lieber so verlieren als wie eingangs erwähnt. Schon etwas unnötiger war die Niederlage von Jonathan Reichel (3), der gegen Frank Fleischer aus der Eröffnung heraus recht angenehm stand, dann aber zu unentschlossen agierte und die Kontrolle über die wichtige d-Linie verlor. Nachdem er dann auch noch eine taktische Möglichkeit übersah, war die Partie bald nicht mehr zu retten. Noch besser, nämlich nahezu auf Gewinn, stand nach der Eröffnung Lauritz Jansen (5). Kurioserweise wählte sein Gegner Boris Berning denselben schlechten Plan (Freilegung des eigenen Königs) wie letzte Saison gegen Kai Schumann und erhielt eine ähnlich verheerende Stellung. Aber es ist noch nicht Lauritz' Saison, irgendwie verzettelte er sich, verrechnete sich dann auch noch und ging mit wehenden Fahnen unter. Immerhin läuft es für seinen Vater Jörg Jansen (6) derzeit umso besser. Auch sein Gegner (Uwe Gebhardt) misshandelte die Eröffnung, und zwar so schlimm, dass es kein Entkommen mehr gab. Anstatt bei trostloser Stellung einen Bauern zu verlieren, gab der Ulmer lieber eine Qualität, doch es gab weder Kompensation noch Gegenspiel. Jörg zeigte die nötige Geduld, öffnete nach einigem Manövrieren schließlich das Spiel und gewann die Partie im Angriff. Zu diesem Zeitpunkt war allerdings schon abzusehen, dass Ersatzfrau Tanja Papadopoulou (8) ihr Endspiel gegen Viktor Lainburg verlieren würde. Eigentlich schade, denn nach einem Bauernverlust in der Eröffnung hatte sie sich mit gewohnter Findigkeit zurückgekämpft und hätte an einer Stelle sogar spektakulär gewinnen können. Leider verpasste sie diese Möglichkeit und verlor dann noch die Kontrolle über das Spiel. Dennoch zeigte sie, dass sie auch in der Verbandsliga eine gefährliche Gegnerin sein kann. Das einzige Remis des Tages erreichte Karsten Neurohr (1) gegen Frieder Smolny, wobei diese Partie auch leicht einen anderen Ausgang hätte nehmen können. Nach wenig überzeugender Eröffnung packte Karsten im Mittelspiel einen sehenswerten taktischen Schlag aus, mit dem er die Initiative an sich riss und wohl auch objektiv in Vorteil kam, wenn auch in komplizierter Lage. Zu kompliziert leider, denn schon bald ging die Kontrolle verloren und Smolny hätte forciert gewinnen können. Auch er sah dies jedoch nicht, sondern wickelte nur in ein Endspiel ab, in dem sein schwächlicher Mehrbauer kaum etwas wert war. Kurz darauf gewann Karsten den Bauern zurück und die Partie endete ohne weitere Abenteuer remis. Der Unglücksrabe des Tages war Bernd Staufenberger (7), dessen Partie gegen Rainer Wolf ab der Zeitnotphase dermaßen verrückt wurde, dass man die Dramatik hier schwer wiedergeben kann. Lange Zeit sah es nach einem souveränen Sieg für Bernd aus, der seinen eigenwillig agierenden Gegner (der u.a. einen Springer dauerhaft auf a7 parkte) klar überspielte. Zwei Mehrbauern waren schon im Sack, aber dann kamen Zeitnot und Nerven ins Spiel und Bernd stellte plötzlich eine blanke Figur ein. Klar war die Sache damit aber noch keineswegs (so gut stand es vorher!) und der Ulmer revanchierte sich sogar, indem er einen ganzen Turm einstellte. Zur Zeitkontrolle schien nun alles klar: Mehrqualität für Bernd, klar gewonnene Stellung, doch tragischerweise war er sich trotz vollständiger Mitschrift nicht ganz sicher, ob schon 40 Züge gespielt waren, führte daher noch rasch einen vermeintlich soliden 41. Zug aus... und ließ damit seinerseits wieder einen ganzen Turm stehen! Damit waren die wechselseitigen Geschenke beendet und die Partie war, obwohl sie sich noch in die Länge zog, hoffnungslos verloren. Ein ganz bitterer Verlauf, aber solche Dinge passieren im Schach, selbst in den höchsten Kreisen. Also einfach weitermachen, nächstes Mal wieder hingehen, sich hinsetzen und besser spielen.


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